1. |
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»Nicht gedacht soll seiner werden«
Aus dem Mund der armen alten
Esther Wolf hört ich die Worte
Die ich treu im Sinn behalten.
Ausgelöscht sein aus der Menschen
Angedenken hier auf Erden -
Ist die Blume der Verwünschung!
Nicht gedacht soll seiner werden.
Herz, mein Herz, ström aus die Fluten
Deiner Klagen und Beschwerden,
Doch von ihm sei nie die Rede -
Nicht gedacht soll seiner werden.
Nicht gedacht soll seiner werden,
Nicht im Liede, nicht im Buche -
Dunkler Hund im dunklen Grabe
Du verfaulst mit meinem Fluche!
Selbst am Auferstehungstage,
Wenn geweckt von den Fanfaren
Der Posaunen, schlotternd wallen
Zum Gericht die Totenscharen,
Und alldort der Engel abliest
Vor den göttlichen Behörden
Alle Namen der Geladnen -
Nicht gedacht soll seiner werden!
Aus: Lyrischer Nachlass, Zum Lazarus
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2. |
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Philister in Sonntagsröcklein
Spazieren durch Wald und Flur;
Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein,
Begrüßen die schöne Natur.
Betrachten mit blinzelnden Augen
Wie Alles romantisch blüht;
Mit langen Ohren saugen
Sie ein der Spatzen Lied.
Ich aber verhänge die Fenster
Des Zimmers mit schwarzem Tuch;
Es machen mir meine Gespenster
Sogar einen Tagesbesuch.
Die alte Liebe erscheinet,
Sie stieg aus dem Totenreich,
Sie setzt sich zu mir und weinet,
Und macht das Herz mir weich.
Aus: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo
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3. |
IV
02:25
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4. |
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Laß die heilgen Parabolen,
Laß die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.
Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Roß der Schlechte?
Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.
Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler –
Aber ist das eine Antwort?
Aus: Gedichte. 1853 und 1854, Zum Lazarus
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5. |
Blutegel
05:14
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Wenn sich die Blutegel vollgesogen,
Man streut auf ihren Rücken bloß
Ein bißchen Salz, und sie fallen ab –
Doch dich, mein Freund, wie werd ich dich los?
Mein Freund, mein Gönner, mein alter Blutsauger,
Wo find ich für dich das rechte Salz?
Du hast mir liebreich ausgesaugt
Den letzten Tropfen Rückgratschmalz.
Auch bin ich seitdem so abgemagert
Ein ausgebeutet armes Skelett –
Du aber schwollest stattlich empor
Die Wänglein sind rot, das Bäuchlein ist fett.
O Gott, schick mir einen braven Banditen,
Der mich ermordet mit raschem Stoß --
Nur diesen langweilgen Blutegel nicht;
Der langsam saugt -- wie werd ich ihn los?
Aus: Lyrischer Nachlass, Zum Lazarus
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6. |
Sie erlischt
03:12
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Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und Herrn und Damen gehn nach Haus.
Ob ihnen auch das Stück gefallen?
Ich glaub ich hörte Beifall schallen.
Ein hochverehrtes Publikum
Beklatschte dankbar seinen Dichter.
Jetzt aber ist das Haus so stumm,
Und sind verschwunden Lust und Lichter.
Doch horch! ein schollernd schnöder Klang
Ertönt unfern der öden Bühne; –
Vielleicht daß eine Saite sprang
An einer alten Violine.
Verdrießlich rascheln im Parterr
Etwelche Ratten hin und her,
Und Alles riecht nach ranzgem Öle.
Die letzte Lampe ächzt und zischt
Verzweiflungsvoll und sie erlischt.
Das arme Licht war meine Seele.
Aus: Romanzero, Lamentationen, Lazarus
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7. |
V
01:00
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…Ich breche hier ab, denn ich gerate in einen larmoyanten Ton, der vielleicht überhand nehmen kann, wenn ich bedenke, daß ich jetzt auch von Dir, teurer Leser, Abschied nehmen soll. Eine gewisse Rührung beschleicht mich bei diesem Gedanken; denn ungern trenne ich mich von Dir. Der Autor gewöhnt sich am Ende an sein Publikum, als wäre es ein vernünftiges Wesen. Auch Dich scheint es zu betrüben, daß ich Dir Valet sagen muß; Du bist gerührt, mein teurer Leser, und kostbare Perlen fallen aus Deinen Tränensäckchen. Doch beruhige Dich, wir werden uns wiedersehen in einer besseren Welt, wo ich Dir auch bessere Bücher zu schreiben gedenke. Ich setze voraus, daß sich dort auch meine Gesundheit bessert und daß mich Swedenborg…
Aus: Nachwort zum Romanzero
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